Antarktis 1 – Sturm bei Kap Hoorn

Auf dem Weg in die Antarktis mit der Hanseatic Nature

im März 2009

Das Tangoviertel in Buenos Aires lässt die lange Anreise von Frankfurt über Madrid nach Buenos Aires schnell vergessen.

Dort zu flanieren, das Leben zu genießen und dabei die eigenen Bemühungen mehr oder weniger erfolgreich Tango zu erlernen Revue passieren zu lassen, danach noch das spektakuläres Erlebnis eines dreitägigen Kurztrips zu den gewaltigen Iguacu- Fällen auf argentinischer und brasilianischer Seite mit Flug über den Amazonas Urwald – zwei schöne Zwischenstopps für eine Reise in die Antarktis, die dann mit einem Flug entlang der argentinischen Küste nach Ushuaia beginnt.

Ushuaia, Port of Call für Antarktis Expeditionen und Hauptstadt Feuerlands ist die südlichste Stadt der Welt mit dem Beinamen „El fin del Mundo – das Ende der Welt“

Der südliche Ort der Welt aber ist die kleine chilenische Gemeinde Puerto Williams auf der der Insel Navarino (54 Grad südlicher Breite) mit ca.2300 Einwohnern gegenüber 75000 in Ushuaia. Argentinien betrachtet Puerto Williams nicht als Stadt, sondern als Dorf (Pueblo). Konkurrenz belebt den Tourismus.

Ein lang gehegter Traum wird jetzt endlich mit der Unabhängigkeit von Schulferien wahr, zur besten Reisezeit, die im Südsommer vom Jahreswechsel bis Mitte März reicht. Die Wassertemperaturen sind dann rund um den Gefrierpunkt, anstatt bei minus 55 Grad im sonstigen Jahresmittel, Die Pinguine und andere Tiere nutzen diese Zeit für Geburt und Aufzucht des Nachwuchses.

Schon direkt nach der Landung auf dem Aeropuerto International de Ushuaia Malvinas sehen wir von weitem die rot-weiße Hanseatic im Hafen liegen, wo wir kurz darauf von der Crew mit Sekt beim Einschiffen empfangen werden.

Unser Schiff

Die Hanseatic ist ein „kleines“ Kreuzfahrtschiff der Expeditionsklasse und hat nur 120 Kabinen und 18 Suiten.  Im Gegensatz zu den großen amerikanischen Schiffen ein entscheidender Vorteil. Vor Ort sind so täglich zwei Anlandungen möglich, die in der Regel mit Zodiacsgemacht werden (robuste für Anlandungen geeignete Schlauchboote). Das können die großen Schiffe mit bis zu 1000 Passagieren nicht leisten. 

Wir sind an Bord und haben gerade Ushuaia verlassen. Weiter geht es durch den Beagle Kanal an der Abzweigung nach Kap Hoorn vorbei in die Drake Passage.  Erst jetzt sind wir auf offener See. Das Meer ist ruhig. Es ist ein sonniger Tag in Ushuaia, und die Vorhersage für die Drake Passage ist gut. Die gefürchteten Stürme am Kap Hoorn, bekannt aus den Büchern meiner Jugendzeit, bleiben wohl aus. Wir brauchen noch den ganzen Tag, um durch die Drake Passage zu kommen, an deren Ende der Atlantische und der Pazifische Ozean aufeinandertreffen. Doch dann ändert sich die Situation schlagartig. Ein Tief baut sich auf, und das Barometer fällt kontinuierlich. Erst heißt es, dass wir erst heute Nacht auf das Tief treffen, doch dann kommt alles viel schneller. Ich sitze mit dem Bordpianisten munter plaudernd in der Sauna, und allmählich nimmt die Schiffsbewegung zu. Wir rutschen auf der Bank von einer Seite auf die andere. Ein Blick nach draußen auf den leerschwappenden Pool zeigt uns, dass es Zeit ist unter Deck zu gehen. Heftige Böen zwingen uns gebückt am Geländer entlang die Flucht anzutreten. Der Pianist jammert, dass die Musiker immer die schlechtesten Kabinen im Bug des Schiffes bekommen, wo der Seegang am stärksten zu spüren ist. An Bord wird es ruhig, alle ziehen sich in ihre Kabinen zurück, als der Wind noch stärker wird, begleitet von heftigstem Regen.

Eine neue Durchsage des Kapitäns sagt, dass das Barometer nicht mehr aufzeichnet. Wer dieses relativ seltene Ereignis sehen möchte, ist eingeladen auf die Brücke zu kommen. Ich hangele mich am Geländer hoch zur Brücke und erlebe dort, wie unser Schiff mit dem Bug immer wieder tief eintaucht und dann von riesigen Wassermassen überspült wird. Es ist jedes Mal ein gleichzeitig faszinierender und atemberaubender Moment, in dem einem kurz die Luft wegbleibt, wenn die Wassermassen über das Schiff rollen, bevor es wieder in die Tiefe der riesigen Wellentäler versinkt. Im gleichen Rhythmus geschieht dies nun stundenlang. Für einen Augenblick ist es beruhigend, wenn unser Schiff für einen kurzen Moment sich waagerecht stabilisiert.

Blick von der Brücke

Trotz höchster Konzentration am Ruder erzählt der Kapitän so nebenbei, dass bei einer früheren Expedition eine riesige unerwartete Seitenwelle die Brücke zum Teil beschädigt hatte und es hart für ihn gewesen sei, in dieser Situation am Steuer zu bleiben, wodurch sich mein zwischen „außergewöhnliches Erlebnis“ und „Gefahr“ schwankendes Empfinden etwas in Richtung Sorge verschiebt. Die Dualität unserer Existenz wird in diesen Momenten deutlich und zeigt uns, wie klein der Mensch gegenüber der Kraft und Gewalt der Natur ist, und wie er immer wieder Wege findet, sich in dieser Natur auch in Extremsituationen zu bewegen. Ein relativ kleines Schiff gegen einen gewaltigen Sturm, vom Kapitän hindurch manövriert mit Wissen, Können und viel Erfahrung. 

Es ist jetzt Windstärke 9-10 mit Spitzenböen von 12 Windstärken und 8-10 Meter hohen Wellen, mit steigender Tendenz. Zwischen zwei Inseln und auf diese Weise von zwei Seiten gesichert, hat die Hanseatic Schutz vor dem Sturm gesucht. Als wir danach das Zentrum des Tiefs erreichen, ändert sich die Windstärke zwar nicht, aber jetzt kommt der Wind von achtern, was alles angenehmer und ungefährlicher macht. 

Noch den Abend und die ganze Nacht hält der Sturm an, bis wir endlich in allerdings immer noch stark bewegter See weiter fahren können in Richtung unseres Zieles der Antarktischen Halbinsel. 

Am nächsten Morgen sind kaum Passagiere zu sehen, die Seekrankheit hat voll zugeschlagen und auch das Küchenpersonal erfasst. Ein Koch kommt, immer eine Hand an der Reling und bringt ein paar Brote als Frühstück auf die Brücke und zu den wenigen „Überlebenden“ in den Speisesaal. Einige der Passagiere tauchen erst nach 3 Tagen wieder auf. Das Programm und die Route werden geändert, die ersten beiden Anlandungen fallen aus und werden für die Rückfahrt eingeplant,

Ein tolles Erlebnis, wenn es gut geht und man nicht seekrank wurde. 

Eine neue alarmierende Meldung bedroht jetzt aber erneut unsere Fahrt. Ein großes amerikanisches Kreuzfahrtschiff ist in dem Sturm zweimal gegen die Felsen gedrückt worden. Als einziges Schiff in der Nähe hätten wir dort zur Rettung hingemusst. Aber SOS bleibt aus, das Schiff ist aus eigener Kraft freigekommen und nicht zu stark beschädigt worden.

Erst jetzt kommt man zur Ruhe und beginnt das zu entdecken, was uns umgibt: Ein Schiff mit komfortablem Ambiente mit Pool und Sauna, einem Panoramasaal mit Ausblick und voller anlassbezogener Literatur. Ein kulinarischer Höhepunkt folgt dem anderen und dazu ein Service, dessen Personal den Wunsch nach einem Drink schon erkennt, bevor man ihn ausgesprochen hat. Zu alledem ein tägliches Angebot an Filmen und Fachvorträgen – live oder in der Kabine zu genießen.

Das Meer hat sich beruhigt, und wir gleiten die nächsten Tage an einer Szenerie von vielen unterschiedlich geformten, teils hellblauen kleineren und den riesigen, hunderte Meter langen weißen Tafeleisbergen vorbei. Herrliche Sonnenauf- und -untergänge wechseln mit grauen, windigen Tagen. Große Albatrosse und andere Vögel begleiten uns, Seehunde und Walrosse liegen auf den vorbeitreibenden Eisbergen.

Eine innere Ruhe und Gelassenheit tritt ein. Es tut den Augen und der Seele gut, mit Blick auf das weite Meer, die Stille und Gemütlichkeit im Liegestuhl an Deck zu genießen und die Welt der Antarktis vorüber ziehen zu lassen.

Die Schönheit der Eisberge

Bewegung an Bord kommt nur auf, wenn Delphinschwärme oder Wale vom Kapitän an Back- oder Steuerbord angekündigt werden. So erleben wir einen riesigen Schwarm Pinguine, der unser Schiff lange begleitet und dann die Jagd der Wale. Strategisch organisiert und miteinander kommunizierend umzingeln Orcas eine Gruppe kleinerer Minkwale. Es gibt kein Entrinnen aus diesem bewegten Kessel, der die Beute bis zur Erschöpfung jagt. Die Hanseatic stoppt, und wir können dieses besondere Naturschauspiel ganz in unserer Nähe beobachten.  Auch die Mannschaft kommt an Deck; sie hatte trotz vieler Fahrten dis auch noch nicht erlebt.

Der Sturm ist vergessen, und nur sehr weit hinten in den Gedanken versteckt sich die Sorge vor einem weiteren Sturm bei Kap Hrn auf der Rückfahrt.

Veröffentlicht von

Dr.Mielke Burkhard

Autor: Dr. Burkhard Mielke Berlin ist meine Stadt – Geburtsort und seit Jahren wieder die Stadt, in der ich lebe. Geprägt hat mich am meisten mein Studium der Romanistik und des Sports an der Sporthochschule und Universität zu Köln. Begeistert hat mich jedoch meine Promotion zum Dr. phil. Diese ermöglichte mit dem Thema „Tourismus oder Völkerverständigung? Die internationalen Begegnungen der Schulen“ , eine Verbindung herzustellen zwischen der Faszination des Reisens und der Begegnung von Jugendlichen, Kulturen und Lebensorten. Als junger Lehrer waren es Schüler-Austauschfahrten mit Tunesien, als Schulleiter die Schulpartnerschaften mit Upstate New York, Beijing und Shanghai, als Präsident der Europäischen Schulleitungsvereinigung (ESHA) und Board Member der Internationalen Schulleitungsorganisation (ICP) viele internationale Tagungen zur Bildung der Jugend an unterschiedlichsten Orten der Welt. Immer war es mein Bestreben, andere mitzunehmen in diese Faszination des einen Augenblick lang Fremden, des Austausches und der neuen Erfahrungen, die uns auf immer andere Weise sagen: Ja, dies ist unsere Welt.

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