Autor: Dr. Burkhard Mielke
Berlin ist meine Stadt – Geburtsort und seit Jahren wieder die Stadt, in der ich lebe. Geprägt hat mich am meisten mein Studium der Romanistik und des Sports an der Sporthochschule und Universität zu Köln. Begeistert hat mich jedoch meine Promotion zum Dr. phil. Diese ermöglichte mit dem Thema „Tourismus oder Völkerverständigung? Die internationalen Begegnungen der Schulen“ , eine Verbindung herzustellen zwischen der Faszination des Reisens und der Begegnung von Jugendlichen, Kulturen und Lebensorten. Als junger Lehrer waren es Schüler-Austauschfahrten mit Tunesien, als Schulleiter die Schulpartnerschaften mit Upstate New York, Beijing und Shanghai, als Präsident der Europäischen Schulleitungsvereinigung (ESHA) und Board Member der Internationalen Schulleitungsorganisation (ICP) viele internationale Tagungen zur Bildung der Jugend an unterschiedlichsten Orten der Welt. Immer war es mein Bestreben, andere mitzunehmen in diese Faszination des einen Augenblick lang Fremden, des Austausches und der neuen Erfahrungen, die uns auf immer andere Weise sagen: Ja, dies ist unsere Welt.
Vier Jahre nach der Zerschlagung des „Prager Frühlings“ kam ich 1972 mit einer Schülergruppe nach Prag, und die Bilder der Panzer in Prag und die Selbstverbrennung des Studenten Jan Palach als Protest gegen das Moskauer Diktat waren noch unvergessen. Der „Prager Frühling“ 1968 – eine Hoffnung, die allzu schnell dem Imperialismus der Sowjetunion zum Opfer fiel. Ein weiteres Mal nach Berlin, Warschau, Sofia und Budapest.
Die Sowjetunion löste sich auf – Russlands Politik änderte sich mit der Machtübernahme Putins nicht. Die Liste der Militärinterventionen ist länger geworden, und die Brutalität führt damals und heute bis zur Vernichtung ganzer Städte und Länder: Georgien, Armenien,Aleppo, Libyen, Krim, Ukraine…?
Plakate an der Prager Universität
Heute rollen wieder einmal Panzer in eine europäische Hauptstadt ein, um die Sehnsucht der Menschen nach einem würdigen Leben in Freiheit und Demokratie mit Panzern niederzuwalzen. Die Steigerung der imperialistischen sowjetischen Besetzungen der Sowjetunion innerhalb des Warschauer Paktes bis hin zu Putins Revisionswahn ist die kalte, völkerrechtswidrige, mörderische Kriegsführung, sind Kriegsverbrechen, die vorsätzlich Zivilisten töten und humanitäre Einrichtungen wie Krankenhäuser, Schulen und Kindergärten angreift, Lebensmittellager und Wasserleitungen zerstört, um die Menschen zu zermürben.
1972 hatte sich das Leben in Prag zwangsläufig normalisiert, unter der Firnis die Trauer und Hoffnungslosigkeit bedeckend.
Damals im „kalten Krieg“ wie heute in Zeiten der Globalisierung hatte der Rest der Welt der sowjetischen Aggression wenig entgegenzusetzen. Es war diese Stimmung, die immer noch überall zu spüren war.
Doch in allen Krisen haben Menschen der sich nach und nach einschleichenden Resignation Widerstand entgegengestellt. Ein Zeichen hierfür sah ich, als ich in meinem Hotelzimmer beim Einräumen meiner Sachen die Schranktür öffnete. Groß eingeritzt in die Innenseite der Schranktür stand 3:2 ohne weiteren Kommentar. Mein Gedächtnis brauchte nicht lange, um die Bedeutung zu verstehen. Es war ein Ausdruck der Freude und Revanche. Mit 3:2 besiegte das Team der Tschechoslowakei die Sowjetunion und wurde 1972 Eishockeyweltmeister durch diesen Triumph gegen die Unterdrücker. Ein verstecktes Zeichen und ein Schritt zu wieder aufkommender Hoffnung und Selbstbewußtseins.Vor allem wegen der großen Bedeutung dieser Sportart in beiden Ländern.
Prag war voller Touristen und konnte in seiner Schönheit wieder besucht werden. Die Schäden der Besetzung waren weitestgehend beseitigt, die Infrastruktur, auch die touristische, funktionierte. Meine Warnungen über die Gefahr Geld schwarz umzutauschen wurden aufgenommen. Was ich nicht wußte, die Busfahrer beider Länder hatten den Umtausch des Geldes, um die offizielle grosse Spanne zu umgehen, und den Export des begehrten Krimsektes untereinander organisiert. Und trotzdem blieben ein gewisses Unbehagen und latente Angst wegen der ständigen Überwachung. Das hatte schon beim Grenzübergang begonnen mit penibler Passkontrolle, Durchsuchung des Busses. Schlimm war, dass einigen Schülern die Haare abgeschnitten wurden, da die langen Haare einiger nicht mit ihren Passbildern übereinstimmte. Eine Schikane und bewusste Demütigung der ja so dekadenten Westler. Schlimm auch besonders deshalb, weil sie ihrer „langen Haare“ wegen schon zu Hause oft Druck und Diskussionen ausgesetzt waren und sich davon nicht haben beeinflussen lassen. Hier, der kalten Macht ausgeliefert, half kein Protest gegen diese Schikane, weil im Falle der Weigerung die Einreise verhindert wurde. Als begleitender Lehrer war ich nicht in der Lage, ihnen diese Erfahrung zu ersparen. Ein Lehrstück über staatliche Willkür war es allemal, besser als jeder Unterricht dies hätte vermitteln können
Strahlendes Wetter in dieser wunderschönen Stadt ließ uns die Tage dennoch genießen. Auf der Karlsbrücke über die Moldau mit dem Blick auf die Prager Burg kam dann die politische Realität für mich zurück. Ein älterer Herr hatte unsere Gruppe beobachtet, sprach mich an und fragte, ob ich etwas Zeit hätte, um miteinander zu sprechen. Er habe 1968 an der Universität Poster und Handzettel gesammelt und bat mich, diese mit in den Westen zu nehmen als Dokumentation dieser Zeit. Wir trafen uns abends bei Luka zu Hause und verbrachten einen schönen und spannenden Abend. Zum Abschied gab er mir eine Tüte mit den Dokumenten, und wir umarmten uns lange, wissend um die geringe Wahrscheinlichkeit eines Wiedersehens.
Lukà hatte seine Form des Widerstandes gefunden und für sich zu einem Abschluss gebracht.
Mir wurde wohl durch die Euphorie dieser Begegnung erst kurz vor der Grenze klar, welches Risiko ich eingegangen war. Kurz vor der Grenze mussten doch, trotz aller Warnungen, einige der Gruppe austreten – Folge zu vieler Flaschen Pilsener Urquells vor der Rückfahrt. Damit war klar, dass unser Bus besonders genau durchsucht werden würde. Man suchte immer sogenannte Übertritte Einheimischer in den Westen zu verhindern.
Ich versteckte alleDokumente unter Pullover und Mantel um den Körpermitte verteilt und hatte Glück. Wir mußten aussteigen, und der Bus wurde gründlichst gefilzt, nicht aber wir. Nur langsam beruhigte sich mein Puls und niemand hatte etwas von meiner Nervosität bemerkt.
Damals konnte ich die Zeitdokumente nur herumreichen und zeigen. Anläßlich der Kriegsverbrechen in der Ukraine und um die Kontinuität der sowjetisch-russischen imperialistischen Angriffe auf Freiheit und Demokratie zu dokumentieren, sowie als Aufruf, sich nicht einer trügerischen Ruhe hinzugeben, sind in der Galerie „Prager Frühling 1968 „ die Aushänge an der Universität, Zeitungsausrisse, Flugblätter und Plakate, die Luka mir 1972 anvertraut hat. Sie sollten als Erinnerung und Mahnung in den Westen gelangen und nicht vergessen werden. Diese Dokumente sind im Internet unter drburkhardmielke.de in meinem Blog„Unterwegs“ unter „Dies ist Dein Frieden“zu sehen.
Berlin ist meine Stadt – Geburtsort und seit Jahren wieder die Stadt, in der ich lebe. Geprägt hat mich am meisten mein Studium der Romanistik und des Sports an der Sporthochschule Köln und der Universität zu Köln. Begeistert hat mich jedoch meine Promotion zum Dr. phil. Diese ermöglichte mit dem Thema „Tourismus oder Völkerverständigung? Die internationalen Begegnungen der Schulen“ , eine Verbindung herzustellen zwischen der Faszination des Reisens und der Begegnung von Jugendlichen, Kulturen und Lebensorten. Als junger Lehrer waren es Schüler-austauschfahrten mit Tunesien, als Schulleiter die Schulpartnerschaften mit Burnt Hills- Ballston Lake in Upstate New York, Beijing und Shanghai. Als Präsident der Europäischen Schulleitungsvereinigung (ESHA) und Board Member der Internationalen Schulleitungsorganisation (ICP), als Professor an der Normal University in Shanghai waren es viele internationale Tagungen zur Bildung der Jugend an unterschiedlichsten Orten der Welt. Immer war es mein Bestreben, andere mitzunehmen in diese Faszination des einen Augenblick lang Fremden, des Austausches und der neuen Erfahrungen, die uns auf immer andere Weise sagen: Ja, dies ist unsere Welt.
Von Bergen nach Kirkenes und zurück an Bord der „Polarlys“ (Hurtigruten)
Mai/Juni 2024
„Die schönste Seereise der Welt“ – mit diesem selbstbewussten Slogan tauchen die Hurtigruten in der Werbung auf. Vor 130 Jahren begann die klassische Postschiffslinie entlang der norwegischen Küste von Bergen nach Kirkenes und zurück mit Stopps in 34 Häfen. Ein Mythos entstand und bei vielen der Wunsch, einmal dabei zu sein. Auch ich hatte diese Hurtigrutenfahrt immer irgendwo in einer Schublade meines Gedächtnisses. Bis ich am 28.Mai 2024 in Bergen an Bord der Polarlys ging und dieser lang gehegte Wunsch sich erfüllen sollte. Voller Informationen und Erwartungen wusste ich auch, dass nun vieles vom Wetter im Norden abhing, wo es Gegenden gibt, in denen alle Jahreszeiten an einem Tag erlebbar sein können. Und die Berichte von Sturm und Kälte, dem Erreichen des Nordkapps ohne Sicht bei dichtem Nebel, die Lofoten in strömendem Regen, die Unmöglichkeit bei hoher See in den berühmten Trollfjord zu fahren und…
Die Route
Bei grauem Himmel mit tiefhängenden dunklen Wolken ertönen um 20 Uhr die Signale zum Auslaufen. Und dann kurz nach Mitternacht und bei der Wetterlage völlig unerwartet, verwandelte sich innerhalb vo 20 Minuten der graue Himmel in ein flammendes Rot der untergehenden Sonne, die auch das Meer rot leuchten ließ. Was für ein Beginn dieser Reise und Lohn fürs langes an Deck bleiben.
Bøvågen, Vestland, Norwegen
12 Tage geht die Fahrt nun, nur unterbrochen von einigen Landgängen und Exkursionen, entlang dieser so stillen und ruhigen Küste mit Leuchttürmen, kleinen Häfen und noch kleineren Orten mit den bunten Hozhäusern. Ich sitze am Fenster oder bin an Deck und kann den Blick vo dieser Landschaft nicht lösen. Wann immer ich dieses emotionale Eingetauchtsein verlassen muss, habe ich den Eindruck etwas von dieser Landschaft zu verpassen , die von anderen vielleicht als gleichförmig empfunden werden kann.
Mitternachtssonne
Trollfjord
Storøya, Svolvær, Lofoten
Lofoten
Zauber von Licht und Schatten
Sym
Abendstimmung
Letzter Abend an Bord
Die Bilder sind Momentaufnahmen der Landschaft, wechselnd von grün zu felsig karg, von hügelig zu steilen Klippen, hohen Bergen und bewegten Wolkenformationen. Wir gleiten vorbei an dieser Szenerie, mal in Gedanken, mal intensiv und präsent, mal ein Gang an Deck an die Luft und in die Sonne für ein paar Fotos….
Die Tage unter der Mitternachtssonne kann man wenig beschreiben, nur intensiv erleben, ebenso wie die rotstrahlenden Himmel und Meer verzaubernden Sonnenuntergänge. Das ist das wesentliche Erleben mit diesem Schiff dies-und jenseits des Polarkreises.
Natürlich gibt es lebendige Highlights wie die Polartaufen, das Nordkap und verschiedene Exkursionen durch wunderschöne Landschaften, die wichtigen Städte und kurze Begegnungen mit Menschen auf dem Schiff und an Land.
Doch was bleibt ist das Erlebnis des „zu sich selbst Kommens“ in der Stille dieser vorbeiziehenden einzigartigen Natur und des unerwarteten Glücks, all dies bei schönem Wetter und ruhiger See erleben zu dürfen.
Marie, Marga, Parthena, Jörg, Jürgen und Jahel für ihre Anregungen, Lektorate und Unterstützung, so dass aus einer Idee dieses Projekt werden konnte.
Gedanken
Entsprechend Plato gab es auf dem Vorplatz des Apollotempels in Delphi eine Redewendung: „Gnothi safton“ – „Erkenne Dich selbst“. Wenn man die großen Epen der Menschheit betrachtet, scheint es, dass man auf eine Reise gehen muss, um sich selbst zu erkennen und die Reife der Wahrheit zu erreichen. Reisen als Prozess, sich selbst zu erkennen. Das erfordert eine intensive Arbeit und eine lange Zeit. Parthena Solidou
Um beim obigen Zitat anzuknüpfen: Es hat sich bewahrheitet, hat eine lange Zeit gedauert, bis die Erfahrung vieler Reisen dazu geführt hat, die folgenden Essays zu schreiben. Erst die durch Covid erzwungene Pause für Reisen öffnete das Fenster, um vieles Revue passieren zu lassen und das Wesentliche einiger Reisen und damit auch sich selbst zu erkennen. Schon als Kind und Jugendlicher faszinierte mich die Welt außerhalb meines eigenen Lebenskreises. Ich verschlang alle Bücher mit Reiseberichten, kannte schon bald alle Länder und Hauptstädte der Welt, sammelte Briefmarken und später Münzen, um diese zu entschlüsseln in einer Zeit ohne Internet.
Ich hatte das Glück , eine Mutter zu haben, die mit ihren Kinder jede Ferien unterwegs war mit VW und Zelten auf dem Dach, unterwegs über die Niederlande und Belgien bis später dann nach Nord- und Süditalien. Als Student jobbte ich in den Ferien, um erste Reisen in andere Länder zu finanzieren. Und dann war es wie ein Rausch, USA und Nordamerika wurden mit Familie intensiv bereist und später Asien, Afrika und… und… und… so oft wie möglich.
Was blieb, waren die Eindrücke dieser Reisen, Fotos und Erinnerungen an besondere Ereignisse. Wohl zu viele, um das Einmalige und Prägende zu erkennen. Erst in dieser Zeit der Ruhe wurde schemenhaft Erinnertes sortiert und fokussiert, klärten sich Erlebnisse an verschieden Orten, oft in Verbindung mit zufälligen Begegnungen. Dadurch werden diese kurzen Momente einer längeren Reise zu den wichtigen Erlebnissen, die zu dem „Erkenne Dich selbst“ beitragen und das weitere Reisen wesentlich beeinflussen.
Nepalkarte mit dem Distrikt Mustang an der chinesischen Grenze
Ein Königreich im Himalaya an der chinesischen Grenze? Noch nie davon gehört. . Ein Jahr später sollte es Wirklichkeit werden.
Der Annapurna erhebt sich hoch in strahlendem Weiß unter blauem, wolkenlosem Himmel als Hintergrund zum Flughafen Pokhara, wo wir zu Viert, nervös, aber hoffnungsfroh, auf die Entscheidung warten nach Jomsom, dem Gateway für Mustang in 2700 Meter Höhe fliegen zu können. Diese Flüge sind nur frühmorgens und bei wenig Wind möglich, da die Flugroute durch ein enges Tal an der Annapurna Range mit nur wenigen hundert Metern Abstand von den Felsen geht und als eine der unfallträchtigsten Strecken in Nepal gilt. Endlich wird der Flug freigegeben. Für 30 Minuten erleben wir eine faszinierende, relativ windfreie Passage und landen sicher in Jomson. Erste Eindrücke vom Leben in diesem Teil der Welt sammeln wir hier in diesem Startpunkt für Trekking in das entlegene, weithin unbekannte und somit geheimnisvoll bleibende Königreich Lo.
Erst seit 1992 ist Lo für Reisende geöffnet. Durch die lange Abgeschiedenheit hat sich die Ursprünglichkeit der Region mit dem stark tibetisch geprägten dörflichen Leben im trockenen Hochgebirgsklima erhalten..
Schnell wird unser Gepäck in einem Bus verstaut, und wir wandern vier Stunden bis Kagbeni, unserer ersten Unterkunft. Hier gibt es kaum noch natürliches Grün. Bis auf eine Spezialität: hinter hohen Steinmauern, als Schutz vor den starken und kalten Winden, wachsen Apfelbäume, aus denen, wie man uns sagt, köstlicher Apfelschnaps gegoren wird. Mit Blick auf zukünftige Anforderungen verzichten wir und verschieben den Genuss auf den Tag unserer Rückkehr.
Die Kälte der Nacht ist vorbei, und wir wagen uns vor die Tür in die Wärme der ersten Sonnenstrahlen. Um uns herum reges Treiben, und auf dem Weg zur Visumsstelle kommen wir nur langsam voran, da die Ziegenherden durch den Ort in die Umgebung getrieben werden. Für das Königreich Lo braucht man ein „Entry Permit“ zusätzlich zum Pass. Mit dem Stempel in der Tasche brechen wir auf, um nach Lo Manthang und zurück zu trekken.
Den ersten Pass hinauf müssen wir noch geduldig hinter einer Ziegenherde aufsteigen, bis sie sich auf der Passhöhe in die Weite der kargen Landschaft verteilt. Letzte Order von unseren Sherpas, und es geht los. Ein Sherpa vorne und einer als Nachhut, beginnen wir erwartungsvoll unsere Wanderung zum nächsten Tagesziel nach Tsarang in 3700 m Höhe. Schon bald merken wir, dass Wandern in dieser Höhe und mit steilen Ab- und Aufstiegen in den Bergen viel Kraft, Ausdauer und Kondition abverlangt, und realisieren, wie wichtig die Anweisung unserer Sherpas war: jeder bewegt sich in seinem Tempo und macht individuelle Pausen. Unsere kleine Vierergruppe ist teilweise bis zu zwei Kilometern auseinander. Der Atem wird flacher, vor allem, wenn es bergauf geht, der Puls schlägt schneller, und immer öfter bleibe ich stehen oder warte im Sitzen auf die Beruhigung des Pulses. Das Panorama scheint wie aus einer andern Welt, das Gestein in allen Gelb- und Brauntönen und immer wieder unglaubliche Ausblicke auf die strahlend weißen Achttausender des Himalaya. Nichts wächst hier, und dann diese Stille, kein Laut außer unseren eigenen Geräuschen dringt an unser Gehör. Nur selten sieht man einen Raubvogel kreisen, es gibt nur Sand, Staub und Felsen. Der Fluß Kali Gandaki schlängelt sich durch die tiefste Schlucht der Welt; der Weg, oft nah an Abgründen, ist schmal und anstrengend zu gehen. Nur selten begegnen wir Einheimischen, die einzeln mit Kiepen auf dem Rücken in beide Richtungen gehen. Mit zunehmender Zeit und der gleichbleibenden Landschaft reduziert sich für mich fast alles auf das Gehen, ohne nach rechts und links zu blicken.
Die physische Anstrengung geht einher mit der Auseinandersetzung mit mir selbst als ständigem innerem Dialog. Mehr und mehr ist nichts außer mir selbst wichtig, ich habe ein Ziel, eine Herausforderung, und ich darf und will nicht aufgeben. Und dann fällt beim Erreichen des Tageszieles in der Erholung all das von mir ab und löst sich auf in ein Glücksgefühl über das Erreichte. Tagsüber allein, immer an der körperlichen Grenze, und auch in nötigen Pausen die Auseinandersetzung mit sich selbst in der Grenzerfahrung der Höhenluft und den Anforderungen der Strecke.Abends kehren wir aus der Alleinigkeit des Tages zurück in die Gemeinschaft. Wir wenden uns mit gelöstem Lächeln im Gesicht wieder einander zu und sind stolz es geschafft und einen zwar kurzen, aber schönen Abend gemeinsam in einer unserer Himalaya Lodges vor uns zu haben. Wir tauschen unsere Emotionen, unsere Gedanken aus und sind gespannt auf das Morgen. Beim Essen ist auch das Gespräch mit den Gastgebern möglich, eine wertvolle Erfahrung. Unsere Gastgeber in dieser ersten Lodge haben eine kleine Tochter, die sich interessiert in unserer Nähe aufhält. Ich schenke ihr Buntstifte und werde mit einem glücklich-strahlenden Lächeln bedankt – und es wird ein Wiedersehen auf unserem Rückweg geben.
Unterwegs mit meinem Sherpa
Wir wissen jetzt genauer, was in den nächsten Tagen an Anstrengungen vor uns liegt. Belohnt dafür werden wir, wenn wir den Blick und den Kopf vom Trekking lösen und uns einmaligen menschlichen, kulturellen und historischen Begegnungen öffnen können. Nach einem längeren Marsch taucht im gleißenden Gegenlicht ein Stupa auf, und vom Kamm aus öffnet sich der Blick auf eine hoch gelegene große Tempelanlage, die alte Gompa von Tsarang.
Die absolute Stille wird plötzlich von einer Stimme unterbrochen. Ein Mönch begrüßt uns. Er ist der Einzige, der noch hier oben geblieben ist. Es ist Oktober, und der eisige Winter im Himalaya rückt näher. Alle anderen Mönche sind schon ins Tal abgestiegen. Nur einer bleibt hier zur Sicherung des Tempels und der alten, nicht transportfähigen Menschen. Die Stille und Einsamkeit am diesem Ort fügt sich ein in meine Gedanken.
Die alte Gompa von Tsarang 1395 errichtet
Der Mönch freut sich über unseren Besuch, führt uns durch den Tempel und zu unserer großen Überraschung auch zu einem besonderen Schatz in der zugehörigen Bibliothek.
Die Atmosphäre in diesem Raum nimmt mich gefangen, während ich seinen Erklärungen über die Zahl 108 lausche, die heilige Zahl des Buddhismus, über Pustak, ein heiliges Buch mit je 108 Pergamenten mit 54.000 Sutren. Genau 108 dieser Pustaks liegen hier zwischen geschnitzten Holzrücken in den Regalen, in ein Tuch eingeschlagen, mit einem Band umwickelt. Still und in mich gekehrt verlasse ich diesen Raum.
Die Kanpur und Tanjur Originalabschriften in Tsarang
Für die letzte Etappe von Tsarang nach Lo Manthang konnten unsere Sherpas einen der wenigen Jeeps besorgen. Über eine abermals abenteuerliche Steinpiste durch diese wilde, raue und lebensfeindliche Landschaft, am Horizont die weißen Gipfel des Himalaya, fahren wir in Richtung Lo Manthang, der Hauptstadt Mustangs.
Unser Fahrer kurbelt und dreht ständig das Lenkrad herum um durch die engen Kurven zu kommen. Man kann schon Anspannung bei uns erleben, wenn die schmal in den Berg gehauene Piste nur knapp am Abgrund vorbei führt und es neben uns hunderte von Metern in die Tiefe geht. In diesen Momenten kann auch die chinesische Lieblingsmusik unseres jungen Fahrers uns nicht beruhigen. Bei den steilen Steigungen wundern wir uns immer wieder, wie es der Jeep mit 7 Personen und diesem Untergrund über die tiefen Rillen nach oben schafft. Glück haben wir aber auch hier, bei trockenem Wetter, blauem Himmel und strahlendem Sonnenschein zu fahren. Nur der gleißende Sonnenschein, der sich in den staubüberzogenen Scheiben bricht, blendet oft nicht ungefährlich.
Auf der Etappe nach Lo Manthang überholen wir vereinzelt Menschen mit schweren Lasten, Maultiere oder Pferdekarawanen, fahren vorbei an kleinen, verstreuten Hütten und Stupas mit Gebetsfahnen, die auch überall auf den Passhöhen wehen. Erleichtert verlassen wir den Jeep, erleichtert auch, weil wir wir diese letzte schwierige Etappe nicht hatten laufen müssen.
Vor unserem Hotel „Lotus“ in der Nähe des Königspalastes angekommen, wundern wir uns, denn nichts deutet auf eine Hauptstadt hin. Ein größeres Dorf als die anderen, ja, mehr Leben auf den Strassen und eine Sammelstelle für die wenigen Jeeps, die es in Mustang gibt. Auffallend nur der bescheidene Königspalast des 2008 von der nepalesischen Regierung abgesetzten Königs. Heute ohne Fahne. Der König von Lo ist heute nicht in der Stadt. Nahbei die Lo Manthang Art Gallery des berühmten Künstlers und Restaurators der Tempelgemälde, Padang Gurung. Durch den Ort fließt in einem schmalen Kanal Gebirgswasser, wo sich Frauen ihre Haare waschen.
Ich gerate in eine kleine Gasse und sehe mir die alten Hausfassaden an, als ein Stück entfernt auf der anderen Seite ein älterer Mann mir plötzlich zuwinkt. Ich erwidere seinen Gruß, und wir kommen ins Gespräch. Er nimmt mich mit in sein Haus bis nach oben zum Dach, wo sich ein wunderschöner Blick über die Hauptstadt und die Hochebene bis zu den Bergen ergibt. Aus seinem Munde erfahre ich viel über die Stadt und Mustang, was in keinem Reiseführer zu finden ist. Zum Abschluss unserer intensiven Begegnung schenkt er mir eine sehr alte Maske aus seinem Haus, die die bösen Geister von mir fernhalten soll. Wir trennen uns mit einer herzlichen Umarmung. Eine zufällige Begegnung, und wir wissen beide, dass es bei dieser einen bleiben wird.
Lo Manthang ist der Wendepunkt unseres Trekkings. Ein ruhiger Tag, an dem wir Teil des normalen Haupstadtlebens sind, mit Besichtigungen und Einkäufen, typischen Gerichten in kleinen Restaurants, aufgenommen von den Geräuschen dieser entlegenen Stadt hoch im Himalaya. Die gute und saubere Luft genießen wir nun ohne die Anstrengung des Trekkens, und unsere Sherpas öffnen uns Türen zu den Menschen, wodurch wir erleben, wie anstrengend es aus unserer Sicht wäre, die Grundbedürfnisse des Lebens auf diese Weise zu sichern – vom Getreidemahlen in einem kleinen Gebäude, in dem man durch den beim Mahlen entstehenden Staub kaum etwas sehen kann – bis in die Küchen der Häuser. Und immer treffen wir auf freundliche und nette Menschen, die sich über unseren Besuch freuen, die hier ihr Lebensglück finden durch Familienstrukturen, Gemeinschaft und Zufriedenheit mit ihrer Welt. Auch auf mich wirkt dies ein und mischt sich mit meiner bisherigen Vorstellung von Glück.
Früh am nächsten Morgen geht die Fahrt mit einem engen, durch spontan im Jeep und auf dem Dach Mitfahrende total überladenen Jeep los in Richtung Samar. Die Passstrasse wird enger, und ich merke, wie bei unserer Gruppe Angst aufsteigt. Ich sitze links vom Fahrer, immer mit freiem Blick in die tiefe Schlucht neben uns. In einer engen Kurve befinde ich mich schon fast jenseits der Strasse über der Schlucht. Unberührt von allem sind unsere einheimischen Mitfahrer. Ich aber spüre die Stimmung hinter mir und bedeute den Sherpas die Fahrt für uns schnell zu beenden. Während einer längeren Phase der Ungewissheit stehen wir auf einem Hochplateau, die wir unruhig, unsere Sherpas aber in stoischer Gelassenheit verbringen. Dann werden wir erlöst und mit dem zugesagten Jeep sicher nach Samar gebracht, einem kleinen Dorf in der Wüstenlandschaft Mustangs, berühmt für die vielen es umgebenden Chörten.
Zu Fuß gehen wir weiter in Richtung Kagbeni. Dort freue ich mich sehr über das Wiedersehen mit dem kleinen Mädchen, dem ich die Buntstifte geschenkt hatte. Sie fängt an zu weinen, als ich sie nach Bildern frage und sagt schluchzend, dass sie kein Papier habe. Wir holen alles an Papier aus unseren Rucksäcken, und ich gebe den Sherpas Geld welches zu kaufen und bei ihrem nächsten Auftrag dort vorbeizubringen. Mit fröhlichem Gesicht beginnt sie sofort zu malen. Es wird dann ein kurzer letzter Abend. Der für hier aufgesparte Apfelschnaps hat eine unglaubliche Wirkung. Ziemlich schnell versinken wir in tiefen Schlaf .
Erholt wachen wir am nächsten Morgen mit dem Gefühl auf, etwas ganz Besonderes erlebt zu haben: Eine große körperliche und geistige Herausforderung zu meistern in einer in ihrer Kargheit doch wunderschönen Natur, mit offenen und herzlichen Menschen. die glücklich und zufrieden in ihrem Glauben und ihrer Tradition leben, weit entfernt von unserem westlichen anspruchsvollen Lebensstil. in den wir allerdings nicht ohne Auswirkungen dieser Erfahrungen zurückkehren.
Sonne, ruhige See und die Szenerie der Antarktis, die trotz gleichbleibender Motive ihren Reiz nicht verliert, haben die Stimmung an Bord nach dem Sturm bei Kap Hoorn verbessert. Dem Kapitän, den die Natur zu ständig neuen Entscheidungen zwingt, gelingt es, die aufkommende Enttäuschung über zwei verpasste Anlandungen sofort zu zerstreuen durch die Ankündigung, dass wir auf eine Insel kommen werden, die vorher noch von keinem Kreuzfahrtschiff erreicht wurde.
Dies ist der Beginn vieler schöner und oft aufregender Erlebnisse, aus deren Vielfalt auf unserem Weg durch das Südpolarmeer nur einige der Highlights hervorgehoben werden können.
Wir erleben endlich unseren ersten, sehnsüchtig erwarteten Landgang mit dem exakten Ablauf der Ausbootung in die Zodiacs nur mit Chipkarte , die versehentliches Zurücklassen von Passagieren verhindert, was deren sicheren Tod bedeuten würde. Auf Brown Bluff betreten wir erstmals Land in der Antarktis und stehen sofort inmitten ihrer Tierwelt, die wir bisher nur vom Boot aus bewundern konnten. Bärenrobben, Weddelrobben , Pinguine und Seeelefanten liegen herum und lassen sich nicht von uns stören. Nicht weit entfernt auf Paulet Island sehen wir in einer riesigen Kraterlandschaft Abertausende Adele Pinguine.
Karte der Antarktischen Halbinsel
Lautes, aggressives Vogelgekreische und wildes Flügelschlagen wie bei Hitchcock zerreißt die Stille auf Deception Island. Skuars sind aufgestiegen und greifen einen Passagier an, der trotz aller Warnungen sich diesen brütenden Vögeln zu sehr genähert hatte. Deren Angriffen können tödlich enden: der Passagier entkommt ihnen nur knapp.
Die Hanseatic ist durch eine enge Durchfahrt in die Caldera von Deception Island eingefahren und hat vor der Walfischbay geankert. Hier waren früher mehrere Stationen der Walfischfänger, und die Knochenreste der erbeuteten Wale liegen am Strand verstreut. Da diese Caldera vom Meer und vom Inneren der Insel aus nicht zu sehen ist, erhielt sie ihren Namen. In der Uferzone dieser geschützten Bucht steigt Dampf auf. Er kommt vom heißen Wasser des Vulkans, der jederzeit wieder ausbrechen kann. Deshalb ist der Berg der benachbarten Telefon Bay übersät mit Seismographen und anderen Messgeräten als Frühwarnstation. Nach der Besteigung des Vulkans reicht die Zeit noch für ein angenehmes warmes Fußbad am Strand vor der Rückkehr aufs Schiff.
Weiter geht es in südlicher Richtung zur nächsten Insel. Ein unglaublicher Gestank umfängt uns dort. In schneller Folge sind die Zodiacs in Cuverville Island angelandet, und wir stehen mitten in einer riesigen Eselspinguin Kolonie und beobachten das hochaktive Treiben dieser Pinguine. Sie haben in der Regel zwei Junge, und es scheint ein Wunder, dass sie diese nach der Futtersuche im Meer in diesem Gewimmel wiederfinden. Aber nicht alle Jungen werden überleben. In der Bucht jagen die Seeleoparden. Jeder von ihnen frisst bis zu 26 Pinguine am Tag, und über ihnen kreisen Skuas, die größten Räuber in der Luft. Kehren die Eltern nicht zurück, sind die Jungen verloren.
Pinguin Kolonie
Nach diesem Erlebnis endet unser Tag friedlich mit einem Barbecue an Deck. Dabei genießen wir in der Abendsonne die Durchfahrt durch den Errera Channel mit Gletschern auf beiden Seiten, floatenden Eisbergen, vorausschwimmenden Walen, Eisschollen mit Pinguinen, Robben, Walrossen und Seeleoparden. Die Fahrt endet für heute, als wir in der Paradise Bay in der Nähe der argentinischen Station Almirante Brown vor Anker gehen. Ein wunderbarer Moment in einer Umgebung, in der alles zusammenkommt, was man sich nur wünschen kann.
Von Eis umgeben
Am nächsten Tag machen wir dann gerade dort die Erfahrung der Unberechenbarkeit der Natur, erleben, wie sich ein Paradies in kürzester Zeit in einen gefährlichen Sturm verändern kann. Lautes Tuten von der Hanseatic fordert uns auf, sofort an Bord zurückzukehren. Unverständnis zeigt sich auf allen Gesichtern und wir haben keine Ahnung, was passiert ist und was das zu bedeuten hat. Ein wolkenloser, tief blauer Himmel, eine einmalige Kulisse, fast schon ölig glatte See, in der sich die Gletscher und Eisberge spiegeln. Eine Idylle, die sich in kürzester Zeit in ein tobendes Meer verwandeln sollte.
Mit dem ersten Zodiac wurde ich am Morgen zu der argentinischen Station Almirante Brown zur Paradise Bay gefahren, begleitet von dem lauten Krachen und Knacken der kalbenden Gletscher. Wir fahren mit Respekt und mit Abstand durch das Eisschollenwasser. Man weiß nie, was und wieviel plötzlich vom Gletscher abbricht, oder dass sich ein Eisberg im Wasser plötzlich total umdreht. Ein besonderes Erlebnis ist die Begegnung mit einem jungen Seeleoparden, der sich unserem Zodiac nähert und neben uns auftaucht. Unser Bootsführer hat bemerkt, dass das Tier nicht hungrig ist und keine Gefahr besteht, dass er die Luftkammern des Zodiacs zerbeißt. Der Seeleopard begleitet uns lange, bis er dann abdreht, um zwei ältere Seeleoparden auf einer Eisscholle zu ärgern.
Das Signal der Hanseatic ertönt, als wir in dem damals südlichsten Postamt der Welt bereits mit heutigem Datum gestempelte Postkarten kaufen und die zweite Gruppe gerade in die Bucht ausgelaufen ist. Mit dem ersten Zodiac kehre ich an Bord zurück und der Kapitän erklärt uns, was passiert ist. In dieser Gegend gibt es die gefährlichen Fallwinde. Er beobachtet die Berge, und wenn die ersten Wolken am Bergrand erscheinen, kommt Sturm auf. Obwohl das Schiff nur 1,5 Seemeilen entfernt ist, wird es knapp für die letzten Boote. Die letzten Passagiere werden mit angstverzerrten Gesichtern, immer wenn das Boot zur Anlandebrücke zurückpendelt, einzeln von vier Männern ins Schiff gezogen. Eine Meisterleistung der Zodiacfahrer und der Mannschaft, alle unverletzt und ohne Verluste an Bord zu bekommen
Am Abend erfahren wir noch, dass diese Station 1984 völlig ausbrannte, nachdem der Stationsarzt sie aus Verzweiflung angezündet hatte. Er hatte sich für ein Jahr verpflichtet, wurde aber danach nicht abgeholt, weil kein anderer Arzt zur Verfügung stand. Als dasselbe sich wiederholte und er die dritte Überwinterung im Polarwinter vor Augen hatte, legte er Feuer, um seine Rückkehr zu erzwingen. Dem mutigen Einsatz der Besatzung der Palmerstation in der Nähe ist die Rettung der gesamten Besatzung zu danken.
Jeden Tag gibt es neue Überraschungen, diesmal die Ankündigung des Kapitäns, zu versuchen, über den bisher von Kreuzfahrtschiffen erreichten südlichsten Punkt des Südpolarkreises zu fahren und somit einen neuen Rekord aufzustellen. Wir überqueren den Südpolarkreis ( 66°30′ Süd ) am 24. Februar um 16:10 Antarktiszeit (20:10 MEZ). Die Spannung steigt, als wir langsam durch dichtes Packeis weit über den Südpolarkreis hinausfahren und den neuen Rekord aufstellen. Der mit Champagner unterlegte Jubel ist groß und die Vorfreude auf die nächsten Erlebnisse steigt.
Bei weiteren Stationen überrascht uns immer wieder die Fauna der Antarktis in ihrer unterschiedlichen Ausprägung. Neben den Skuas, Sturmvögeln und Albatrossen sehen wir auch große Kolonien von Blauaugenkormoranen an den Berghängen – Robben und Seeleoparden, Walrosse und Seebären sowie die Vielfalt der Pinguine zu Wasser und zu Land.
Richtig interessant wird es dann noch einmal, als wir am Kai der Rothera Station anlegen.
Unser Expeditionsleiter, David Fletcher, hat diese britische Antarktis- Forschungsstation mit aufgebaut und später alle britischen Stationen der Antarktis koordiniert. Nur deswegen erhielten wir hier die Erlaubnis zum Besuch und wurden herzlich begrüßt. Doch auch etwas Trauer und Bedrückung ist bei der Mannschaft zu spüren. Erst vor kurzem ist eine Wissenschaftlerin beim Tauchen bei der Suche nach Gründen für die Klimaerwärmung von einem Seeleoparden getötet worden.
Am Rande vermerkt erzählte David uns, dass er in der ersten britischen Station Port Lockroy von 1944 kurz nach der Ankunft mit einer kleinen Gruppe und völlig auf auf sich allein gestellt, den entzündeten Blinddarm eines Crewmitgliedes im Funkkontakt mit Ärzten auf den Falkland Inseln erfolgreich operierte. Seitdem gilt für alle, die in der Antarktis überwintern müssen, sich vorher den Blinddarm entfernen zu lassen. David Fletcher ist inzwischen hoch dekoriert, zum Lord erhoben und ein Berg in der Antarktis wurde nach ihm benannt: Fletcher Bluff. Es ist toll, ihn als Expeditionsleiter an Bord zu haben.
Inzwischen ist die Rothera Station sehr groß geworden und man zeigt uns die gesamte Einrichtung und auch den komfortablen Gemeinschaftsraum, der besonders für diejenigen wichtig ist, die demnächst den extremen Polarwinter überstehen müssen. Mit unserer Abfahrt am 5. März werden einige Stationsmitglieder mit uns zurückfahren bis auf eine Crew von circa 20 Personen, die vor Ort überwintert, um die Station am Laufen zu halten. Einer unserer Führer durch die Station erzählt uns dann, dass es für ihn ein besonderes Erlebnis sein wird, Neujahr am Südpol zu verbringen. Leider müssen wir relativ schnell ablegen, da sich ein großer Eisberg nähert und die Ausfahrt aus dem kleinen Hafen zu verhindern droht.
Mit dieser Ausfahrt beginnt langsam auch die Rückfahrt.
Am nächsten Morgen landen wir noch auf Detaille Island, einer ehemals Britischen Station, die aussieht, als ob man sie fluchtartig verlassen hat. Alles wurde da gelassen – Vorräte für fünf Jahre, eine große Bibliothek, antiquarische Schmuckstücke neben alten Witzheften, Pinups und Tierbüchern. Ein interessanter Einblick in die frühen Stationen im Vergleich zur modernen Rothera Forschungsstation.
Eine große Kolonie Eselspinguine macht sich hier breit. Sie sind die streitbarsten Pinguine, die sich untereinander um jeden Zentimeter Platz fetzen und in der Kolonie ist immer Zoff. Die Tiere befinden sich bei unserer Ankunft in großer Aufregung. Sie betrachten uns Menschen als Pinguine. Immer wieder kommen sie balzend auf uns zu und legen uns kleine Steine, die hier nicht leicht zu finden sind, vor die Füße. Diese Steine werden bei den arktischen Temperaturen als Unterlage für die Eier gebraucht, damit sie nicht am Boden fest frieren.
Und dann wird als Letztes der Stopp erfolgen, den wir wegen des Sturmes auf der Hinfahrt ausfallen lassen mussten
Prospect Point, „Wenn man diesen Ort besucht, gehört man zu den wenigen Menschen, die überhaupt jemals hier waren“ steht in der Bordzeitung. Es wird neben Paradise Bay die schönste Bucht, die wir gesehen haben. Die Bucht der gefangenen Eisberge ist voller Eisschollen und kleiner Eisberge. Erst sieht es so aus, dass wir deswegen nicht anlanden können. Doch dann findet der Vortrupp der Scouts eine Passage. Wir werden langsam auf mäandernden Fährten durch das Packeis gelotst.
Die Tiere dort sind Besuch nicht gewöhnt und entfernen sich bei unserer Ankunft. Wir müssen bergauf durch tiefen Schnee bis wir auf einer Schneeplatte mit wunderbarer Aussicht stehen. Vor uns Adele Pinguine, deren Neugier sie zu uns zurückbringt, dann Bärenrobben, im Meer jagende Seeleoparden und – hinter Eisbergen – die Hanseatic. Das vorübergehende Gefühl, nach zwei Wochen alles gesehen zu haben, wird aufgehoben durch die unvergleichliche Schönheit dieser Insel und dem folgenden Abenteuer der Rückfahrt. Die Sonne kommt durch und lässt das Eiswasser schillern. Im Rücken ein hoher Berggipfel, weiter entfernt hinter Eisbergen unser Schiff. Traumhaft schön!
Auch die Pinguine bewegen sich hier anders. Sie rutschen auf dem Bauch um sich fortzubewegen, ein lustiges Schauspiel. Wir können leider nicht lange bleiben und werden an Bord zurückgerufen, da die Bucht sehr schnell zufriert. Wie schnell das geht, habe ich nicht für möglich gehalten. Ich bin in einem der letzten zwei Boote. Der Treibeisgürtel zieht sich zusammen und wir brauchen sehr lange, um einen Weg zurück zu finden. Immer wieder muss der Motor hochgezogen werden, um Eisschollen wegzutreten. Zwischendurch sah es so aus, als ob wir es nicht schaffen würden und vom Schiff aus etwas hätte geschehen müssen. Für diesen Fall hatte unser Scout mit einer Flasche hochprozentiger Flüssigkeit zum Aufwärmen vorgesorgt. Durchgefroren erreichen wir das Schiff. Vor dem Ablegen sagt der Kapitän per Durchsage, dass die Situation für die letzten Boote „abenteuerlich“ gewesen sei.
Danach verlassen wir die Antarktis mit einem letzten Höhepunkt. Unser Kapitän versucht durch den wegen seiner Schönheit berühmten Lemaire Kanal (13 km lang und nur 520 Meter breit) in Richtung Drake Passage zu fahren. Mehrere Jahre hintereinander mussten diese Versuche abgebrochen werden, weil kein Durchkommen war. Ich stehe mit auf der Brücke, es herrscht eine ruhige konzentrierte Atmosphäre. Kommandos werden leise gegeben. Mit vier Leuten wird das Schiff langsam um die Eisberge herum durch das Packeis manövriert. Gefährlich sind nur die größeren Schollen, bei denen man nicht weiß, was unten dranhängt. Ein lautes Krachen zeigt ab und zu an an, dass wir unter Wasser mit dem Bug an den Unterbau einer solchen Eisscholle geraten sind. An beiden Seiten der engen Durchfahrt begleiten uns hell strahlende Gletscher in der gleißenden Sonne. Dann taucht vor uns die enge Öffnung des Channels auf und wir sind durch. Bevor wir dann ins freie Wasser kommen, müssen wir noch durch eine breite Eisbarriere durch, die sich vor dem Ausgang aufgetürmt hat. Jetzt geht es zurück zur Drake Passage. Orcas und kleinere Wale begleiten uns auf diesem Weg und später kommen die großen Humpbacks hinzu.
Jetzt heißt es Abschied nehmen. Wir verlassen Antarctica und fahren diesmal bei ruhiger See durch die Drake Passage. Und plötzlich riecht es „grün“, zum ersten mal nach 14 Tagen. Wir atmen tief ein und sind zurück in der Welt mit Vegetation, die am Ufer beginnt. Bei guter Sicht fahren wir am Kap Hoorn vorbei und können diesen berühmten Platz der Welt von Bord aus sehen. Eine Anlandung ist nicht mehr möglich, da Kap Hoorn nun chilenisches militärisches Sperrgebiet ist.
Der letzte Abend an Bord beginnt mit einem farbigen Sonnenuntergang als Hintergrund zum Captains Dinner und Abschied von der Crew, die für uns Shantys singt. Welch ein Unterschied zu dem Sturm am Kap Hoorn auf unserer Hinfahrt. Der Lotse kommt am nächsten Morgen an Bord und bringt uns sicher nach Ushuaia.^
Auf dem Weg in die Antarktis mit der Hanseatic Nature
im März 2009
Das Tangoviertel in Buenos Aires lässt die lange Anreise von Frankfurt über Madrid nach Buenos Aires schnell vergessen.
Dort zu flanieren, das Leben zu genießen und dabei die eigenen Bemühungen mehr oder weniger erfolgreich Tango zu erlernen Revue passieren zu lassen, danach noch das spektakuläres Erlebnis eines dreitägigen Kurztrips zu den gewaltigen Iguacu- Fällen auf argentinischer und brasilianischer Seite mit Flug über den Amazonas Urwald – zwei schöne Zwischenstopps für eine Reise in die Antarktis, die dann mit einem Flug entlang der argentinischen Küste nach Ushuaia beginnt.
Ushuaia, Port of Call für Antarktis Expeditionen und Hauptstadt Feuerlands ist die südlichste Stadt der Welt mit dem Beinamen „El fin del Mundo – das Ende der Welt“
Der südliche Ort der Welt aber ist die kleine chilenische Gemeinde Puerto Williams auf der der Insel Navarino (54 Grad südlicher Breite) mit ca.2300 Einwohnern gegenüber 75000 in Ushuaia. Argentinien betrachtet Puerto Williams nicht als Stadt, sondern als Dorf (Pueblo). Konkurrenz belebt den Tourismus.
Ein lang gehegter Traum wird jetzt endlich mit der Unabhängigkeit von Schulferien wahr, zur besten Reisezeit, die im Südsommer vom Jahreswechsel bis Mitte März reicht. Die Wassertemperaturen sind dann rund um den Gefrierpunkt, anstatt bei minus 55 Grad im sonstigen Jahresmittel, Die Pinguine und andere Tiere nutzen diese Zeit für Geburt und Aufzucht des Nachwuchses.
Schon direkt nach der Landung auf dem Aeropuerto International de Ushuaia Malvinas sehen wir von weitem die rot-weiße Hanseatic im Hafen liegen, wo wir kurz darauf von der Crew mit Sekt beim Einschiffen empfangen werden.
Unser Schiff
Die Hanseatic ist ein „kleines“ Kreuzfahrtschiff der Expeditionsklasse und hat nur 120 Kabinen und 18 Suiten. Im Gegensatz zu den großen amerikanischen Schiffen ein entscheidender Vorteil. Vor Ort sind so täglich zwei Anlandungen möglich, die in der Regel mit Zodiacsgemacht werden (robuste für Anlandungen geeignete Schlauchboote). Das können die großen Schiffe mit bis zu 1000 Passagieren nicht leisten.
Wir sind an Bord und haben gerade Ushuaia verlassen. Weiter geht es durch den Beagle Kanal an der Abzweigung nach Kap Hoorn vorbei in die Drake Passage. Erst jetzt sind wir auf offener See. Das Meer ist ruhig. Es ist ein sonniger Tag in Ushuaia, und die Vorhersage für die Drake Passage ist gut. Die gefürchteten Stürme am Kap Hoorn, bekannt aus den Büchern meiner Jugendzeit, bleiben wohl aus. Wir brauchen noch den ganzen Tag, um durch die Drake Passage zu kommen, an deren Ende der Atlantische und der Pazifische Ozean aufeinandertreffen. Doch dann ändert sich die Situation schlagartig. Ein Tief baut sich auf, und das Barometer fällt kontinuierlich. Erst heißt es, dass wir erst heute Nacht auf das Tief treffen, doch dann kommt alles viel schneller. Ich sitze mit dem Bordpianisten munter plaudernd in der Sauna, und allmählich nimmt die Schiffsbewegung zu. Wir rutschen auf der Bank von einer Seite auf die andere. Ein Blick nach draußen auf den leerschwappenden Pool zeigt uns, dass es Zeit ist unter Deck zu gehen. Heftige Böen zwingen uns gebückt am Geländer entlang die Flucht anzutreten. Der Pianist jammert, dass die Musiker immer die schlechtesten Kabinen im Bug des Schiffes bekommen, wo der Seegang am stärksten zu spüren ist. An Bord wird es ruhig, alle ziehen sich in ihre Kabinen zurück, als der Wind noch stärker wird, begleitet von heftigstem Regen.
Eine neue Durchsage des Kapitäns sagt, dass das Barometer nicht mehr aufzeichnet. Wer dieses relativ seltene Ereignis sehen möchte, ist eingeladen auf die Brücke zu kommen. Ich hangele mich am Geländer hoch zur Brücke und erlebe dort, wie unser Schiff mit dem Bug immer wieder tief eintaucht und dann von riesigen Wassermassen überspült wird. Es ist jedes Mal ein gleichzeitig faszinierender und atemberaubender Moment, in dem einem kurz die Luft wegbleibt, wenn die Wassermassen über das Schiff rollen, bevor es wieder in die Tiefe der riesigen Wellentäler versinkt. Im gleichen Rhythmus geschieht dies nun stundenlang. Für einen Augenblick ist es beruhigend, wenn unser Schiff für einen kurzen Moment sich waagerecht stabilisiert.
Blick von der Brücke
Trotz höchster Konzentration am Ruder erzählt der Kapitän so nebenbei, dass bei einer früheren Expedition eine riesige unerwartete Seitenwelle die Brücke zum Teil beschädigt hatte und es hart für ihn gewesen sei, in dieser Situation am Steuer zu bleiben, wodurch sich mein zwischen „außergewöhnliches Erlebnis“ und „Gefahr“ schwankendes Empfinden etwas in Richtung Sorge verschiebt. Die Dualität unserer Existenz wird in diesen Momenten deutlich und zeigt uns, wie klein der Mensch gegenüber der Kraft und Gewalt der Natur ist, und wie er immer wieder Wege findet, sich in dieser Natur auch in Extremsituationen zu bewegen. Ein relativ kleines Schiff gegen einen gewaltigen Sturm, vom Kapitän hindurch manövriert mit Wissen, Können und viel Erfahrung.
Es ist jetzt Windstärke 9-10 mit Spitzenböen von 12 Windstärken und 8-10 Meter hohen Wellen, mit steigender Tendenz. Zwischen zwei Inseln und auf diese Weise von zwei Seiten gesichert, hat die Hanseatic Schutz vor dem Sturm gesucht. Als wir danach das Zentrum des Tiefs erreichen, ändert sich die Windstärke zwar nicht, aber jetzt kommt der Wind von achtern, was alles angenehmer und ungefährlicher macht.
Noch den Abend und die ganze Nacht hält der Sturm an, bis wir endlich in allerdings immer noch stark bewegter See weiter fahren können in Richtung unseres Zieles der Antarktischen Halbinsel.
Am nächsten Morgen sind kaum Passagiere zu sehen, die Seekrankheit hat voll zugeschlagen und auch das Küchenpersonal erfasst. Ein Koch kommt, immer eine Hand an der Reling und bringt ein paar Brote als Frühstück auf die Brücke und zu den wenigen „Überlebenden“ in den Speisesaal. Einige der Passagiere tauchen erst nach 3 Tagen wieder auf. Das Programm und die Route werden geändert, die ersten beiden Anlandungen fallen aus und werden für die Rückfahrt eingeplant,
Ein tolles Erlebnis, wenn es gut geht und man nicht seekrank wurde.
Eine neue alarmierende Meldung bedroht jetzt aber erneut unsere Fahrt. Ein großes amerikanisches Kreuzfahrtschiff ist in dem Sturm zweimal gegen die Felsen gedrückt worden. Als einziges Schiff in der Nähe hätten wir dort zur Rettung hingemusst. Aber SOS bleibt aus, das Schiff ist aus eigener Kraft freigekommen und nicht zu stark beschädigt worden.
Erst jetzt kommt man zur Ruhe und beginnt das zu entdecken, was uns umgibt: Ein Schiff mit komfortablem Ambiente mit Pool und Sauna, einem Panoramasaal mit Ausblick und voller anlassbezogener Literatur. Ein kulinarischer Höhepunkt folgt dem anderen und dazu ein Service, dessen Personal den Wunsch nach einem Drink schon erkennt, bevor man ihn ausgesprochen hat. Zu alledem ein tägliches Angebot an Filmen und Fachvorträgen – live oder in der Kabine zu genießen.
Das Meer hat sich beruhigt, und wir gleiten die nächsten Tage an einer Szenerie von vielen unterschiedlich geformten, teils hellblauen kleineren und den riesigen, hunderte Meter langen weißen Tafeleisbergen vorbei. Herrliche Sonnenauf- und -untergänge wechseln mit grauen, windigen Tagen. Große Albatrosse und andere Vögel begleiten uns, Seehunde und Walrosse liegen auf den vorbeitreibenden Eisbergen.
Eine innere Ruhe und Gelassenheit tritt ein. Es tut den Augen und der Seele gut, mit Blick auf das weite Meer, die Stille und Gemütlichkeit im Liegestuhl an Deck zu genießen und die Welt der Antarktis vorüber ziehen zu lassen.
Die Schönheit der Eisberge
Bewegung an Bord kommt nur auf, wenn Delphinschwärme oder Wale vom Kapitän an Back- oder Steuerbord angekündigt werden. So erleben wir einen riesigen Schwarm Pinguine, der unser Schiff lange begleitet und dann die Jagd der Wale. Strategisch organisiert und miteinander kommunizierend umzingeln Orcas eine Gruppe kleinerer Minkwale. Es gibt kein Entrinnen aus diesem bewegten Kessel, der die Beute bis zur Erschöpfung jagt. Die Hanseatic stoppt, und wir können dieses besondere Naturschauspiel ganz in unserer Nähe beobachten. Auch die Mannschaft kommt an Deck; sie hatte trotz vieler Fahrten dis auch noch nicht erlebt.
Der Sturm ist vergessen, und nur sehr weit hinten in den Gedanken versteckt sich die Sorge vor einem weiteren Sturm bei Kap Hrn auf der Rückfahrt.
Träume der Menschen erwachsen aus Erzählungen und Geschichten von jenseits der eigenen Welt. Von Asien, Ozeanien und den Amerikas mit all den wunderbaren Schätzen dieser Länder, von wo auch immer durch die Entdecker und Seefahrer die Kunde an europäische Ohren kam, um dann von den sagenumwobenen Genüssen und Gerüchen zu erfahren : Gewürze, Kräuter, exotische Früchte in leuchtenden Farben. Und der Wunsch entstand, dass dies auch das Leben der Menschen in Europa bereichern sollte. Zuerst in den Palästen der Könige und Fürsten bis heute für fast jedermann. Die Schätze kamen mit Karawanen oder mit Schiffen zu uns auf speziellen Routen und Wegen, wie z.B. die Viae Salariae, die Seidenstrasse und andere. Zucker, Zimt, Safran, exotische Gewürze wie Chili und andere tauchten auf einmal in Europa auf. Kaffee ud Tee eroberten die Welt und sind heute nicht mehr wegzudenken. Überschattet ist dies alles von Versklavung und Ausbeutung unzähliger Menschen in den Kolonien Europas. Dem Anspruch der Kolonialmächte, dass ihnen alles zustehe, was sie begehren, wurde allerdings beim Kaffee Widerstand entgegengesetzt. Das Ursprungsland des Kaffees, Jemen, verbot bei Todesstrafe die Ausfuhr von Kaffeepflanzen und Samen. Trotzdem gelang es den Niederlanden, Kaffeesetzlinge und Samen zu stehlen und dann in ihren Kolonien wie Java und Sumatra anzubauen.
Auf vielen Reisen begegnete ich immer wieder den ursprünglichen Anbaugebieten in Mittel-und Südamerika, Afrika und dem Vorderen Orient.
Aber erst vor kurzem erschloss mir eine Reise in Deutschland überraschend eine weitere, mir bisher unbekannte Anbaugeschichte. Durch Corona dauerte es eine Weile, bevor es überhaupt wieder möglich war auch innerhalb Deutschlands zu reisen, und diese Reise führte ins Elsass und in die Pfalz. Nach einer längeren Tour durch Nationalparks und Biosphärenreservate mit vielen heimisch – kulinarischen wie auch historischen Höhepunkten, folgte ein letzter Stopp im Biosphärenreservat Pfälzerwald-Nordvogesen, um dort in der Karlstalschlucht zu wandern. Wir fanden mitten in der idyllischen Landschaft nahe bei Trippstadt ein Apartment.
Dort angekommen, übergab uns eine freundliche Vietnamesin die Schlüssel, und nebenbei registrierte ich ein kleines Schild Kaffeerösterei an der Hauswand, ohne dem irgendeine Bedeutung zuzumessen.Am nächsten Morgen, einem Sonntag, freuten wir uns über die gut ausgestattete Küche im Apartment, bis wir für die Kaffeemaschine keinen Kaffee fanden. Da kehrte die Erinnerung zurück, ich ging runter, klopfte bei den Vermietern und wurde fröhlich begrüßt in einem Raum voller Kaffeeangebote. Schnell erhielten wir Kaffeepulver und gleich noch Kuchen dazu mit der Einladung nach dem Frühstück wieder zurück zu komme
Und dann die große Überraschung. Eine Rösterei mit ausschließlich vietnamesischem Kaffee aus dem Zentrum Vietnams, meiner bisherigen Kenntnis nach einem ganz untypisches Anbaugebiet. Und die Frage „Wie kommt der Kaffee nach Vietnam und dann nach Trippstadt?“ tauchte auf.
Nach einer Führung durch die Rösterei ergaben sich erste Antworten. Es begann mit wissenschaftlicher Arbeit in einem ökologisch orientierten Reisanbauprojekt in Hanoi, wo Dr. Jürgen Ott – Geschäftsführer eines Umweltplanungsbüros aus der Pfalz – und Nga Do, Master in Politik und Management der Universität Hanoi als Assistentin des vietnamesischen Projektleiters sich kennenlernten.. Doch das allein würde nicht erklären, wie es dazu kam, dass sie jetzt in Trippstadt zusammenleben und gemeinsam ihre Vision von Nachhaltigkeit und Biodiversität leben und wahrmachen. Da muss ein Funke übergesprungen sein zwischen den Beiden, die jeder für sich dorthin gegangen waren, um sich mit anderen sachkundig Forschenden aus aller Welt auszutauschen. Zu dem Austausch fügte sich das persönliche Interesse und schließlich nach mehreren Projekttreffen in Folge die liebevolle Entscheidung des gemeinsamen Lebensweges
Indochina war seit dem 19. Jahrhundert französische Kolonie, bis zum bitteren Ende 1954 in der Schlacht von Dien Bien Phu. Auf eins wollten die französischen Kolonialherren jener Zeit auf keinen Fall verzichten, das war der Kaffee. Ein Expertenteam erkundete die Bedingungen für Kaffeeanbau und fand sie in den Bergen Indochinas und brachten den Kaffe so in den Norden Vietnams u.a.nach Sapa, VinPhuc und Bete Tre. Laos und Kambodscha wurden selbstständig, Vietnam in zwei Hälften geteilt. Der kalte Krieg unterbrach die Verbindungen zwischen dem Norden Vietnams mit dem Westen, und der Vietnam-Kaffee geriet vorübergehend in Vergessenheit.
Aber nicht in Ostberlin
Was den Kaffeegenuss in der DDR anging, gab es erhebliche Unterschiede. Menschen mit Westkontakten erhielten richtigen Kaffee von ihrer Westverwandtschaft, inzwischen allgemein bekannt geworden durch den sehenswerten Film „Der Duft des Westpaketes“. Und in der Tat dominierte in diesen Paketen der Kaffeeduft alle anderen Kostbarkeiten, selbst die Schokolade, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Der Rest der Bevölkerung musste sich mit Kaffeeersatz zufriedengeben, allerdings mit Ausnahme der Politprominenz. Dise versorgte sich gerne mit den edlen Genüssen des Westens wie z.B. richtigem Kaffee, und so nahmen sie die Kontakte zu den Kaffeegebieten in Vietnam auf, um sich den privilegierten Genuss zu sichern.
Und nun, Jahre nach der Wende, stehen wir in diesem kleinen Ort und erfahren, wie der vietnamesischen Kaffee aus dem Zentrum Vietnams nach Trippstadt kam.
Nga hatte sich auf das Kaffeerösten spezialisiert und ist inzwischen nach diversen Kursen in Vietnam Meisterin in diesem Fach, gepaart mit ihrem und ihres Mannes Engagement im Produktionsmanagement als Leitlinie ihrer Firma, der Dragon Bean Roaster – Tripstadter Kaffeerösterei.
Diese Kenntnisse und die Wertschätzung der nachhaltigen Produktion machen den Unterschied bei Kaffee aus: Entscheidend ist nicht die Sorte allein, sondern die Qualität des Anbaus von der Ernte bis zur Trocknung und Rösterei – und da hat sich vieles gegenüber den traditionellen Verfahren verändert. Von ursprünglich Robusta wechselte man zu dem beliebteren Arabica, von der Massenernte zur Handverlesung, von Konzernen zu kleinen Farmen mit Microlots, von Chemie zu organischem Dünger ohne Pestizide – dies sind die Kriterien für Öko-Anbau und nachhaltigen Naturschutz.
vertical gardening
Entscheidend kommt dann noch das vertical gardening durch biodiversifizierten Anbau in vier Ebenen dazu. Über einem Teppich aus Blütenpflanzen stehen die Kaffeesträucher, darüber Bananenbäume und Pfefferpflanzen und zuletzt Avocado, Pomelo, Macademia oder Kassadenbäume. Dieses Verfahren verbessert das Wachstum, denn die Kaffeesträucher sind Halbschattengewächse, und die Staffelung bringt zusätzliche Ernten der Hochgewächse als ergänzendes, schnelles Einkommen für die Farmer. Der Kaffee hingegen braucht mehrere Jahre, bevor er den Farmern Gewinn einbringt. Letzte Beobachtung von vor Ort berichtet, dass diese vertikale Schichtung zu einer deutlichen Vermehrung vor allem von Insekten führt, was allen Pflanzen nutzt.
Zum Schluss noch etwas über den Unterschied der Geschmäcker. Cà Phê Sữa Đá ist sehr starker Kaffee, tropfenweise durch einen Metallfilter in ein Glas mit süßer Kondensmilch getropft, mit oder ohne Eis, oder lieber vietnamesischer Eierkaffee mit Honig, Eigelben und gezuckerter Kondensmilch – Lieblingsgetränke in Vietnam
Boarding für Flug TK24 vom BER nach Istanbul als Hub- Flug für den Weiterflug nach Taiwan mit Turkish Airlines.
Trotz ständiger Lautsprecheransagen, das Tragen von Masken im Innenbereich des Flughafens sei obligatorisch, halten sich nur wenige an diese Regel, während der ganzen Flughafenprozedur vom Einchecken über Pass- und Sicherheitskontrollen bis zum Boarden und im Flugzeug selbst. Niemand kümmert sich darum, auch einige Stewardessen verzichten auf die Maske in einem bis auf den letzten Platz ausgebuchten Flugzeug.
Es wird eine lange Anreise mit viel Bürokratie, um in Taiwan einreisen zu können.
Es beginnt mit dem Visumsantrag, der in drei Tagen ungewöhnlich schnell von der taiwanischen Vertretung in Berlin erledigt wird. Als nächstes der PCR-Test,
der längstens 72 Stunden vor Abreise mit dem Ergebnis in Englisch gemacht werden muss. Ein weiteres Dokument für die Unterbringung während der 7-tägigen Quarantäne in Taiwan muss ausgefüllt werden, eine nicht leicht ohne Fehler zu erledigende Aufgabe. Als letztes der Hinweis, dass man im Internet eine Regierungsadresse 48 Stunden vorher herunterladen muss, damit man vor Ort dann kontrolliert werden kann.
All das ist vor dem Abflug nötig in der Hoffnung alles richtig gemacht zu haben und wirklich einreisen zu können. Die Sehnsucht die Familie nach fast 6 Monaten wiederzusehen, macht es leicht, diese Formalitäten inklusive der Quarantäne gut gestimmt abzuwickeln. Zumal einen Tag nach Ablauf der Quarantäne mein Enkelkind seinen ersten Geburtstag zusammen mit seinem OPA feiern kann.
Mit meiner FFP 3 Maske gut geschützt für diese Reise, sitze ich in einem Flieger nach Istanbul voller gut gelaunter maskenfreier Menschen, auf dem Weg in den Urlaub oder zur Familie. Abgesehen davon, ein ruhiger Flug mit exzellentem Service.
Istanbul Airport – Das Eintauchen in einen palastartigen, supermodernen, riesigen Flughafen. Es ist Nacht und alles leuchtet, glänzt und glimmert, Viele Duty-free-Shops und die weltweit agierenden Geschäfte locken mit gestyltem Ambiente. Ein Erlebnis aber auch hier sorglose Unbekümmertheit, so als ob Covid nicht mehr existiere.
Zwei Stunden später ändert sich auf dem gleichen Flughafen das Bild beim Warten in einem extra Raum für den Weiterflug nach Taipei bis zum Einsteigen. Hier wird Covid noch ernst genommen und zum Schutze der Reisenden gehandelt. Dokumente werden ausführlich geprüft, nur Einzelne ohne Maske und ein relativ sorgenfreier, angenehmer 11-stündiger Flug wieder mit sehr gutem Service.
Wie anders als in Istanbul ist der der Eindruck bei Ankunft im International Airport Taipei. Der Wille Covid nicht von außen einzuschleppen steht absolut im Vordergrund
Grelles, kaltes Licht empfängt mich im Ankunftsbereich, lange, hell erleuchtete Gänge mit aufgeklebten Fußsohlen für die weitere Richtung und durch den ganzen langen Weg immer wieder lautes Rufen von Personal in Schutzkleidung mit Maske und Visier in Chinesische und Englisch mit Anweisungen für den Fortgang der fast zweistündigen Ankunftsprozedur.
In einer langen Reihe bewegt man sich vorwärts, bei Abbiegungen von weiterem Personal geführt, durch eine Fiebermessstation bis zu einem ersten Stopp.Es bedarf einer Erklärung, bis ich verstehe: hier muss ich meine Simkarte aus dem Handy nehmen und durch eine taiwanesische ersetzen. Hierdurch wird das Tracking meiner Bewegungen ermöglicht. In der Quarantäne darf man ja seinen Raum nicht verlassen. Zuwiderhandlungen werden so erfasst und schwer bestraft. Immer wieder wird desinfiziert.
14 Tage täglich kontrollierte Quarantäne
Nächster Stopp ist der Geldwechsel, um das Quarantänetaxi später bezahlen zu können. Daran schließt sich normaler Flughafenbetrieb an: Koffer abholen, durch Passkontrolle und Zoll. Und wenn man glaubt, das wars, wird man aus dem Flughafen geleitet in einen weiteren Ablauf zum Spucktest. Auch hier kann man immer noch nicht die Maske ablegen, denn selbst im Freien muss in Taiwan immer die Maske getragen werden. Dieser Spucktest ist allerdings eine Erleichterung gegenüber den Regelungen noch vor kurzer Zeit. Da mussten alle einen PCR-Test machen, dort auf das Ergebnis warten und „Positive“ wurden sofort in ein Krankenhaus verbracht. Jetzt werden nur die „Positiven „am nächsten Tag kontaktiert. Weitere laute Rufe in beiden Sprachen bringen mich dann in die lange Warteschlange eines Taxistandes, wo die Papiere für die Quantäneunterkünfte schon vorliegen. Diese Taxis fahren dich dann zu deiner Quarantäneadresse. Nach fast 24 Stunden Reisezeit endlich angekommen, alles richtig gemacht und Zeit zum Entspannen. Da kommt schon die erste SMS mit weiteren Verhaltensregelungen. Als Ausländer bekomme ich die Telefonnummer eines Officers in der Nähe zugeteilt, den ich jederzeit anrufen kann, wenn ich gesundheitliche oder sonstige Probleme habe. Für Einheimische ist der jeweilige Bezirksbürgermeister zuständige – es ist eine umfassende Fürsorge. Jeden Morgen für die nächsten 14 Tage, erreicht mich jetzt eine SMS, die ich beantworten muss: alles normal: drücken Sie die Eins, bei Symptomen, die auf Covid hindeuten, bitte die zwei drücken. Am nächsten Tag kommt dann noch ein Telefonanruf wodurch sichergestellt wird, dass ich im Raume bin. Für mich gibt es noch eine erfreuliche Regeländerung- ich muss nicht mehr in ein Quarantänehotel, (air bnb nicht erlaubt) sondern kann in eine unbewohnte Wohnung ziehen, die meiner taiwanischen Familie gehört. Strapazen vergessen. Der Besuch in Berlin Weihnachten und danach fast tägliche Zoom Meetings haben die Erinnerung wachgehalten und zu diesem freudigen Wiedersehen geführt. Von Balkon zu Balkon habe ich dann den ersten Blickkontakt zu Tochter, Schwiegersohn und Enkelkind. Das Strahlen auf dem Gesicht von meinem Enkelkind lässt alles vorher vergessen.
Am nächsten Tag wird verkündet, dass die Quarantänezeit von 7 auf 3 Tage verkürzt wird. Meine Freude darüber währt nicht lange. Fern jeder Logik gilt dies aber erst für Einreisende ab dem 15. Juni.
Diejenigen, die kurz vor dieser neuen Anordnung ankommen sind, gilt die 7-Tage Regel weiter.
Nach 7 Tagen muss man dann einen Testbericht per SMS schicken und tritt ab Mitternacht in Phase zwei „practice self-health management“ der Quarantäne für eine weitere Woche ein“. Man darf ins Freie, aber noch nicht in geschlossene Räume wie Restaurants, Bars, Öffis etc.. Aber es wird keine weiteren Kontrollen geben, nur noch täglich elektronische Abfragen nach meinem Gesundheitszustand.
Trotz aller Maßnahmen breitet sich Covid auf Taiwan weiter aus und
ist nun doch ein neuer Covid Hotspot.
Letzter Covid Fall von gestern Abend: der Gesundheitsminister.
Allerdings sind hier inzwischen über 90 % der Menschen geimpft und die teils absurden aber gefährlichen Diskussionen in Deutschland gibt es hier nicht. Zurzeit werden die Regelungen mehr und mehr gelockert.
Für mich kam gerade der Anruf meines Betreuers mit der Mitteilung, meine Quarantäne wäre jetzt um Mitternacht beendet.. Um genau 24.00 Uhr werde ich rausgehen, durch die Altstadt Taipeis laufen, um aus dem begrenzten Raum der Quarantäne in die Bewegung zurückzufinden.
Trotz des bürokratischen Aufwandes, der strengen Regeln und der strikten Quarantäne war alles immer in netter Form und vom Beginn der Quarantäne an hatte es eigentlich fürsorglichen Charakter mit hohem personellem Aufwand seitens der taiwanischen Behörden. Eine Betreuungsperson zu haben, die sich jeden Tag über Deinen Gesundheitszustand informiert und bei Problemen dann um die weitere Behandlung kümmert, ist vorbildlich.
Der von mir anfangs erwähnte Hauch von Orwell, den ich nach der Landung empfand, hat sich schnell relativieret.
Auch hier zeigt sich der Unterschied zwischen dem demokratischen China und dem diktatorischem Festland-China. Dort lebt Orwell in perfekter Form als digitalisierte Orwell 2.0 Version in seiner ganzen Härte und Menschenverachtung auf. Nachzulesen bei dem Tagebuchbericht: „Mainz nach Peking in 15 Tagen“ der Pekinger ZDF-Korrespondentin Miriam Steiner, und zu sehen bei den Lockdown Reportagen aus Shanghai u.a. mit den nachts durch die Straßen laufenden und Befehleverkündenden Roboterhunden.